Was macht eine chronische Erkrankung mit der Sexualität?
Viele Frauen kennen es: Eine chronische Erkrankung verändert das ganze Leben – und oft auch die Sexualität. Lustlosigkeit, Schmerzen oder das Gefühl, nicht mehr „man selbst“ zu sein, sind häufige Begleiter. Trotzdem wird darüber selten gesprochen.
Genau das wollten wir in einer großen Studie sichtbar machen: Wie hängen chronische Erkrankungen mit sexuellen Funktionseinschränkungen und sexuellen Funktionsstörungen zusammen? Wie gut werden diese erkannt und behandelt – und welche Unterstützung wünschen sich betroffene Frauen?
Aber zuerst: Was sind sexuelle Funktionseinschränkungen und Funktionsstörungen überhaupt?
Von einer sexuellen Funktionsstörung spricht man nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10/11, wenn eine Einschränkung in den Bereichen Lust, Erregung, Orgasmus, Ejakulation oder Schmerzen bei Intimität vorliegt und die Betroffenen darunter einen spürbaren Leidensdruck empfinden.
Der Leidensdruck ist entscheidend: Nicht jede sexuelle Funktionseinschränkung (z. B. verminderte Lust oder Erregung, Orgasmusprobleme oder Schmerzen) ist automatisch behandlungsbedürftig – erst wenn es belastet, spricht man von einer sexuellen Funktionsstörung.
Was wir untersucht haben
In der Studie wurden fast 2000 Frauen unterschiedlichen Alters, repräsentativ für die deutsche Bevölkerung, befragt. Uns interessierte:
Wie häufig treten sexuelle Funktionseinschränkungen auf – mit und ohne Leidensdruck?
Wie viele Frauen haben jemals eine Diagnose oder Behandlung erhalten?
Welche Angebote nehmen sie aktuell wahr – und welche wünschen sie sich für die Zukunft?
Die chronischen Erkrankungen wurden in Gruppen eingeteilt, z.B. psychische Erkrankungen, gynäkologische Erkrankungen, Krebserkrankungen oder chronische Schmerzen.
Was wir herausgefunden haben
Die nachfolgende Grafik zeigt es deutlich:
Sexuelle Funktionseinschränkungen sind weit verbreitet
Über 60% der Frauen – unabhängig davon, ob sie an einer chronischen Erkrankung leiden (75.2%) oder nicht (62.5%) – berichteten in den letzten sechs Monaten von Funktionseinschränkungen in der Sexualität. Am häufigsten traten Einschränkungen im Bereich Lust und Orgasmus auf.Doppelt so häufig betroffen
Frauen mit chronischen Erkrankungen berichteten fast doppelt so oft von einer sexuellen Funktionsstörung mit klinisch relevantem Leidensdruck (19.3%) wie Frauen ohne chronische Erkrankung (11.3%). Damit war fast jede fünfte Frau mit einer chronischen Erkrankung so stark in der Sexualität belastet, dass sie die Kriterien für eine Diagnose erfüllte.Besonders belastend
Unter den Frauen mit chronischen Erkrankungen berichteten vor allem Betroffene mit psychischen Erkrankungen (21.9%) oder Krebserkrankungen (23.1%) am häufigsten von sexuellen Funktionsstörungen. Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen erlebten zwar am häufigsten Einschränkungen in der Sexualität (84.3%), doch diese gingen nicht immer mit Leidensdruck einher (13.5% berichteten von sexuellen Funktionsstörungen).Kaum Hilfe
Nur etwa jede fünfte Frau (19.4%) mit chronischen Erkrankungen und Symptomen einer sexuellen Funktionsstörung hatte jemals eine Diagnose erhalten – obwohl aktuelle Beschwerden vorlagen. Noch weniger waren tatsächlich in therapeutischer Behandlung (11%).Wo Frauen zuerst Hilfe suchen
Viele mit chronischen Erkrankungen gaben an, sich zunächst im Internet (42.1%) zu informieren. Als bevorzugte persönliche Ansprechpartner:innen nannten sie Gynäkolog:innen (57.4%).Bedarf an besseren Informationsangeboten
Besonders deutlich wurde der Wunsch bei Frauen mit chronischen Erkrankungen nach mehr Aufklärung und besseren Informationsangeboten (33.6%). Viele Frauen signalisierten zudem eine Offenheit für digitale Lösungen – etwa über Websites (23.2%) oder Apps (23.9%).
Häufigkeit sexueller Funktionseinschränkungen und Funktionsstörungen mit Leidensdruck
Warum das wichtig ist
Sexuelle Gesundheit ist ein zentraler Bestandteil unseres Wohlbefindens. Wenn eine chronische Erkrankung hinzukommt, verändert sich nicht nur der Körper, sondern oft auch die Partnerschaft, das Selbstbild und die Intimität.
Dass so viele Frauen unter sexuellen Funktionsstörungen leiden – und gleichzeitig so wenige Hilfe bekommen – zeigt eine erhebliche Versorgungslücke.
Viele Befragte wünschten sich mehr Aufklärung und Unterstützung. Häufig wurden auch digitale Angebote genannt, um überhaupt einen ersten Zugang zu finden.
Was Sie mitnehmen können
Sie sind nicht allein: Wenn Ihre Sexualität durch eine Erkrankung beeinträchtigt ist, betrifft das viele Frauen – und es ist nichts, wofür Sie sich schämen müssen.
Sprechen Sie es an: Auch wenn Ärzt:innen oder Therapeut:innen selten von sich aus danach fragen – Ihre Sexualität gehört ins Gespräch.
Holen Sie sich Unterstützung: Ob alleine oder im Paar – Sexualtherapie, Beratung und auch digitale Angebote können helfen, erste Schritte zu gehen und Erleichterung zu finden.
Fazit
Chronische Erkrankungen beeinflussen nicht nur den Körper, sondern auch die intimsten Bereiche unseres Lebens. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen klar: Der Leidensdruck ist hoch, die Versorgungslücken sind groß.
Umso wichtiger ist es, offen über Sexualität zu sprechen – und Angebote zu schaffen, die Frauen wirklich erreichen.
Quelle
Kronthaler, S. M., Tissen-Diabaté, T., Beier, K. M., & Hatzler, L. (2024). Chronic health conditions and female sexual dysfunction: A population-based study on prevalence, diagnosis, treatment, and health care needs. Journal of Participatory Medicine, 17(1), e71301. https://doi.org/10.2196/71301